Am 30. November 2023 wurde in Zürich der Verein RecyPac gegründet. Akteure entlang der ganzen Wertschöpfungskette haben sich zusammengeschlossen, um in der Schweiz ein nationales, harmonisiertes System für die Sammlung und das Recycling von Plastikverpackungen und Getränkekartons aufzubauen. Nicht alle Umweltorganisationen stehen hinter dem Recycling. Wie nützlich ist Recycling von Kunststoffen wirklich?
Der durchschnittliche CO2-Fussabdruck von Kunststoffen über den gesamten Lebenszyklus ohne Recycling beträgt 4.9 kg CO2 eq. pro kg Material. Dieser Wert dürfte sogar im Steigen begriffen sein, da in den Herstellländern der Rohstoffe immer mehr Kohlenkraftwerke eingesetzt werden.1
In der Schweiz verursacht das Kunststoffsystem 5.4 Millionen Tonnen CO2 eq., was 4.7% des gesamten Schweizer CO2-Fussabdrucks entspricht. Bei einer Recyclingrate von 31% (Verpackungen 63%) – die mittelfristig als realistisch über alle Produkte betrachtet wird –würde dieser Wert auf 4.0 Millionen Tonnen sinken, also um 1.4 Millionen Tonnen.1
Was macht die oben ausgeführte Reduktion nun auf eine einzelne Person in der Schweiz aus? Ist der Umweltnutzen so gering wie nachstehend beschrieben:
«Wenn eine Person in der Schweiz ein Jahr lang 70 Prozent ihres Plastikabfalls separat sammelt, entsteht ein ökologischer Nutzen, der dem Verzicht auf ein Rindsentrecôte entspricht» 2
Die Einsparung durch den Verzicht auf ein Steak
► Beim Rindfleisch entstehen insgesamt 13.3 kg CO2 eq. pro kg Fleisch.3
Wenn wir weiter von einem Gewicht von 250 g für das Entrecôte ausgehen, können durch den Verzicht auf eine Portion 3.33 kg CO2 Emissionen eingespart werden.
Die Einsparung durch das Recycling von 70% des Plastikabfalls einer Person
Berechnen wir zunächst die CO2 eq. Einsparung, wenn der ganze Plastikabfall recycelt wird:
Basisdaten | ||
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Siedlungsabfall (Plastikverpackungen)4 | 225'000 | Tonnen |
Anzahl Bewohner:innen Schweiz5 | 8'865'270 | Personen |
Anteil Siedlungsabfall Plastik pro Kopf und Jahr (A) | 25.38 | Kilogramm |
Emissionsfaktoren lineares System | ||
Emissionsfaktor Rohstoff-Verarbeitung-Entsorgung (linear)1 (B) | 4.9 | |
Total CO2 eq. Emissionen pro Person und Jahr [(A)x(B)] | 124.36 | Kilogramm |
Emissionsfaktoren zirkuläres Recyclingsystem | ||
Emissionsfaktor Recycling6 | 0.5600 | |
Emissionsfaktor erneute Verarbeitung7 | 0.9475 | |
Emissionsfaktor Rezyklat-Verarbeitung-Recycling (zirkulär) (C) | 1.5075 |
Einsparung zirkuläres vs. lineares System | ||
Netto Einsparung Emissionsfaktor bei Recycling [(B)-(C)] = (D) | 3.3925 | |
CO2 eq. Einsparung pro Kopf und Jahr [(A)x(D)] | 86.10 | Kilogramm |
Wenn 70% davon eingespart werden durch Recycling, ergibt dies 60.3 kg CO2 eq. weniger CO2 eq..
►Das sind fast Zwanzig mal mehr Einsparungen als durch den Verzicht auf ein Steak.
Oder anders gesagt: das Entrecôte müsste 4.5 kg schwer sein! Das ist eine ganze Menge. Der Jahresverbrauch an Rindfleisch lag 2022 in der Schweiz nämlich bei 13.15 kg pro Kopf.8
Das heisst, die Einsparung durch 70% Recycling entspricht einem Drittel des jährlichen Rindfleischverbrauchs einer Person in der Schweiz, und nicht einem einzigen Entrecôte.
Eine Studie, welche die Auswirkungen des Kunststoffsystems auf die Systeme der planetaren Grenzen untersucht, kommt zum Schluss: «Increasing recycling rates tackles all pillars of the triple planetary crisis addressed by the United Nations Environment Programme agreement.» und: «Recycling is the key towards environmentally sustainable plastics as it keeps virgin production to a minimum.»9
Das sieht auch die Politik so, neue Regularien wie beispielsweise die Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle oder die Altautoverordnung sehen Recyclingquoten bzw. Rezyklateinsatz vor.
Eine Studie der Stockholmer Umweltberater Material Economics zeigt Szenarien auf, in denen der Emissionsfaktor für recycelten Kunststoff über die ganze Lebensdauer auf 0.1 kg CO2 eq. auf 1 kg Material fällt, wenn das System optimal ausgestaltet wird (dekarbonisiertes Energiesystem) 10:
Mehrwegprodukte sind in vielen Fällen ökologischer als Einwegprodukte. Hier sollte eine Umstellung erfolgen. Die Grundlage dafür muss ein wissenschaftlich belastbares Life Cycle Assessment sein.
Eine generelle Ablehnung von Einweg zu Gunsten von Mehrweg, wie dies einige NGOs fordern, kann zu höheren Umweltbelastungen führen, wenn beispielsweise lange Transportwege und aufwendige Reinigungsverfahren notwendig sind. Letztere ergeben sich aus den Hygieneanforderungen, insbesondere bei Lebensmitteln.
Das sieht auch das europäische Parlament so und hat sich in der Plenarabstimmung vom 22. November 2023 über die neue Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung PPWR folgende Änderung hinsichtlich obligatorischer Reuse-Quoten entschieden:
«14a. … Economic operators shall be exempted from the obligation to meet the targets in this Article if reuse is not the option that delivers the best overall environmental outcome on the basis of such a life cycle assessment. » 11
Auch innerhalb der zweiten Instanz, die sich mit der Vorlage befasst, gibt es Zweifel: so hat dieser in seiner Sitzung vom 18. Dezember 2023 beschlossen:
«By 1 January 2034, taking into account the evolution of the state of the art of the technology and the practical experience gained by economic operators and Member States, the Commission shall present a report reviewing the implementation of the 2030 targets [Anmerkung: Reuse-Quoten in Art. 26 der PPWR] set out in this Article, and evaluating to what extent these targets lead to solutions fostering sustainable packaging that are effective and easy to implement, the feasibility of the achievement of targets set for 2040 on the basis of the experience in achieving the 2030 targets and the evolving circumstances, the relevance of maintaining the exemptions and derogations set out in this Article, life-cycle assessment of single-use and reuse packaging, and the necessity or pertinence of setting new targets for the re-use and refill of other packaging categories.»12
Und auch die Ellen McArthur Foundation anerkennt trotz Vorzug von Verzicht und Mehrweg, dass nicht alle Kunststoffanwendungen in Mehrweg gelöst werden können und schlägt Recycling als eine der Verwertungsoptionen vor:
« Innovate to ensure that the plastics we do need are reusable, recyclable, or compostable. »13
Ein Mix von Massnahmen verspricht die beste Lösung:
Der Materialeinsatz soll auf das technisch Notwendige minimiert werden. Kein unnötiger Kunststoffeinsatz, keine Überverpackung. Grössere Packungsformate können bei nicht-verderblichen Gütern (wie beispielsweise Duschgel) eine signifikante Verbesserung des Verhältnisses Materialeinsatz zu Menge an Füllgut bringen und den Kunststoffbedarf deutlich senken. Ebenso Nachfüllpackungen aus dünnem, flexiblen Material. Es muss aber darauf geachtet werden, dass möglichst Mono-Material verwendet wird, um die Recyclingfähigkeit nicht zu gefährden.
Für viele Anwendungen bieten Mehrweglösungen die ökologisch bessere Alternative. Ein gutes Beispiel ist das ReCircle-System im Takeaway-Verpflegungsbereich.
Weiteres Beispiel: mit Kunststoffpaletten lassen sich wesentlich mehr Umläufe erzielen als mit Holzpaletten. Auch bei Transportverpackungen halten Kunststoffkisten lange und bieten eine gute Alternative zu Einweg-Kartonnagen. Die Post macht sich dies auch zu Nutze mit den gelben Dispoboxen.14
Wie bereits beschrieben sollte ein belastbares LCA Daten und Ergebnisse liefern, aufgrund derer entschieden werden kann, ob die Mehrwegalternative ökologische Vorteile bietet, was in vielen Fällen so ist.
Dort, wo Einweglösungen ökologisch am besten abschneiden, soll das Material im Kreislauf gehalten werden.
Hierzu gibt es verschiedene Verfahren:
Produkte sollen so designt werden, dass sie optimal in Recyclingströme passen und eine hohe Ausbeute (Yield) ergeben.
Wenn dies ökologisch Sinn macht und wirtschaftlich tragbar ist für Konsument:innen, sollte ein Materialwechsel vollzogen werden. Wiederum muss auch hier eine solide, LCA-basierte Betrachtung angestellt werden, ob die Substitution mit einem anderen Material besser abschneidet. Und da haben Kunststoffe gute Karten, da sie die beste Materialeffizienz aufweisen:15
Vor einem vorschnellen Wechsel von Kunststoff auf andere Materialien warnt auch der Naturschutzbund Deutschland NABU:
«Irreführung der Verbraucher*innen stoppen: Aktuell zielt das Engagement von Unternehmen noch zu sehr alleinig auf die Reduktion von Kunststoffen ab, neue Werbeslogans adressieren Eigenschaften wie „plastikfrei“, „kompostierbar“ oder „bioabbaubar“. Viele der Werbeaussagen, die sich dieser Schlagworte bedienen, sind aus Sicht des NABU irreführend für Verbraucher*innen. Bioabbaubare Kunststoffe können nicht recycelt werden und bringen bei der Kompostierung keinen Mehrwert für den Humus. Daher sind sie für den NABU keine gute Verpackungsalternative. Auch dürfen sich die Verbraucher*innen nicht täuschen lassen, wenn Einwegglas oder Papier per se als umweltfreundlichere Verpackungsalternative angepriesen werden.»16
1 Klotz M. et al. (2023): Potentials and limits of mechanical plastic recycling. Department of Civil, Environmental and Geomatic Engineering, ETH Zurich, Zurich.
2 Sackgasse Plastik-Recycling [online] unter: https://www.greenpeace.ch/de/story/65774/sackgasse-plastik-recycling/ [Zugriff am 4.12.23]
3 Fleisch – was kostet das Stück Lebenskraft [online] unter: https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/anbau/fleisch-kostet-stueck-lebenskraft#:~:text=Katastrophale%20Klimabilanz%20durch%20hohe%20CO2%2DEmissionen&text=Vor%20allem%20Wiederk%C3%A4uer%20haben%20einen,Tomaten%200%2C2%20Kilo%20CO2. [Zugriff am 4.12.23]
4 Dinkel F., Bunge R (2017): KuRVe (Kunststoff Recycling und Verwertung) Ökonomisch-ökologische Analyse von Sammel- und Verwertungssystemen von Kunststoffen aus Haushalten in der Schweiz., Cabrotech/UMTEC. Zürich/Rapperswil.
5 Bundesamt für Statistik (2023): Ständige Wohnbevölkerung am Ende des ersten Quartales 2023, Neuchâtel.
6 Franklin Associates, A Division of Eastern Research Group (2018) :LIFE CYCLE IMPACTS FOR POSTCONSUMER RECYCLED RESINS: PET,HDPE, AND PP.). Overland Park.
7 Ecoinvent 3.7.1 dataset documentation - injection moulding – RER
8 Proviande Genossenschaft (2023): Der Fleischmnarkt im Überblick, Bern.
9 Bachmann M. et al. (2022) : Towards circular plastics withhin planetary boundaries. In : Nature Sustainability.
10 Material Economics (2021) : The Circular Economy. A powerful force for climate mitigation, Stockholm.
11 European Parliament : Packaging and packaging waste, Amendments adopted by the European Parliament on 22 November 2023 on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on packaging and packaging waste, amending Regulation (EU) 2019/1020 and Directive (EU)2019/904, and repealing Directive 94/62/EC (COM(2022)0677 – C9-0400/2022 –2022/0396(COD)), P9_TA(2023)0425, Amendment 418, Brussels.
12 Outcome of Proceedings on Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on packaging and packaging waste, amending Regulation (EU) 2019/1020 and Directive (EU) 2019/904, and repealing Directive 94/62/EC- General Approach. Interinstitutional File 2022/0396(COD). Council of the European Union, Brüssel, 18.12.2023.
13 Designing out plastic pollution [online] unter: https://www.ellenmacarthurfoundation.org/topics/plastics/overview [Zugriff am 4.12.23].
14 Dispobox Die ökologische Mehrwegverpackung aus Kunststoff [online] unter: https://www.post.ch/de/pakete-versenden/verpacken-und-adressieren/dispobox [Zugriff am 5.12.23].
15 GVM Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung mbH (2023): Materialeffizienz von Packstoffen im Vergleich, Mainz.
16 NABU Naturschutzbund Deutschland e.V.: Lebensmittelverpackungen im Vergleich [online] unter: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/konsumressourcenmuell/211025-nabu-factsheet_verpackungsvergleiche.pdf [Zugriff am 5.12.23]